9.9.2013

Musik-Conni streikt

Ich bin Musikerin und mache seit ca 6 Jahren Musik in verschiedenen Kindergärten in Frankfurt am Main. Meine Zielgruppe sind Kinder (im Alter von 2-6) mit live gespielter Musik zu erreichen, die von den Eltern nicht in Musikunterricht/Schulen geschickt werden (können).Ich spiele Kinderlieder, Gitarre und Puppentheater und stelle den Kindern Musikinstrumente zur Verfügung, um mitzuspielen, auszuprobieren oder eigene Lieder zu spielen (Perkussion, Trommeln,Keyboard, Gitarre).
Dieses Jahr hatte ich eine Überprüfung durch die Künstlersozialkasse, die den selbständigen Menschen in Musik-,Kunst-, Publizistik-, Theaterbereich den Arbeitgeberanteil für die Kranken- und Rentenversicherung finanziert. Dort kann man im Bereich Musik auch als Ausbilder und Pädagoge versichert sein.
Im Rahmen der Überprüfung wurde mir mitgeteilt, dass „Musikalische Früherziehung“ kein „richtiger“ Musikunterricht sei, weil dabei ja „nur“ die allgemeine Musikalität gefördert würde, aber nicht Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Musikausübung im Vordergrund stehen!!!

Außerdem würden im Kindergarten pädagogisch-didaktische Zwecke im Vordergrund stehen, die musikalisch künstlerischen Elemente stünden im Dienste eines übergeordneten nicht künstlerischen Zweckes. Mit anderen Worten: ich spiele Musik in der falschen „Lokation“.
Wenn ich genau das Gleiche in einer Musikschule machen würde, dann erst wäre es richtiger Musikunterricht im Sinne der KSK. Laut KSK habe ich Zitat „nicht das primäre Ziel, die Schüler zu befähigen eine künstlerische Leistung zu vollbringen oder ein künstlerisches Werk zu vollbringen, z.B. ein Musikinstrument zu spielen.“

Abgesehen davon, dass diese rigide Auffassung und Definition von Musikalischer Bildung völlig absurd und widerlegbar ist, stelle ich mir und meinen ArbeitgeberInnen die Frage, sind Kindergärten wirklich nur reine Verwahrungs- oder Erziehungsanstalten? Geht es in den letzten Jahren nicht vielmehr darum, sie zu Bildungseinrichtungen mit diversen Angeboten auszubauen und sie auch als solche den Eltern zu „verkaufen“.

Die Stadt Frankfurt setzt alles daran die Kinderbetreuung auszubauen und die Qualität der Ausbildung und Betreuung in Kindereinrichtungen zu verbessern, also ganz klar weg von der Verwahrunganstalt hin zur Bildungseinrichtung und dazu gehört auch Musik und Kunst.
Auch bundesweit gibt es den Trend, Kindergärten den Eltern schmackhaft zu machen, denn welches Land/Gesellschaft kann es sich leisten, gut ausgebildete Menschen mit meist hohem Anteil sozialer/emotionaler Intelligenz (sprich Frauen) zu Hause sitzen zu lassen und somit aus dem gesellschaftlichem und politischem Berufsleben aus zu schliessen, wo genau diese Kompetenzen dringend nötig wären.

Aus politischer und gesellschaftlicher Sicht geht es heute also einerseits darum,Eltern bzw realistisch gesehen den Frauen, das Berufsleben zu erleichtern, indem sie mit gutem Gewissen ihre Kinder in die Kindergartenbetreuung geben, weil dort Spracherwerb und soziale Kompetenzen gefördert werden und weil es dort eben auch wertvolle Bildungs-Angebote wie Musik, Kunst, Tanz, Sport, Ausflüge, Konzerte,Museum gibt.

Andererseits Kinder zu erreichen, die von Zuhause aus wenig Förderung und Bildung bekommen, weil ihre Eltern selbst wenig Bildung abbekommen haben oder aus diversen und meist arbeitstechnischen Gründen zu wenig Zeit für ihre Kinder haben.

Von daher ist es wichtig, dass Kindergärten eben fördern, was die Eltern nicht fördern können.Zurück zum Frankfurter Fall: Wir sind hier eine internationale Stadt und in einigen Kindergärten spiele ich Musik mit Kindern, von denen fast alle (!) einen Migrationshintergrund haben und diese Kinder werden zu 99% nicht extra in eine Musikschule oder frühmusikalischen Kindergarten geschickt, obwohl viele sehr musikalisch sind.

Die Eltern und auch die Einrichtungen wünschen sich daher einfach, dass es ein Musikangebot in der Kindereinrichtung direkt gibt und bezahlen sogar extra dafür. Dabei geht es auch darum, dass ALLE mitmachen können, wenn sie wollen.
Die KSK und das Bundessozialgericht trennt anscheinend die soziale Funktion von der darstellenden/kommerziellen Funktion der Musik.Nach ihrer Auffassung bin ich Sozialarbeiterin, weil im sozialen Bereich musikalisch tätig bin, aber keine „ordentliche“ Musikerin oder Musiklehrerin.Wahre Kunst ist, auf einer grossen Bühne mit fetter Anlage zu spielen, sich ordentlich abfeiern zu lassen und fette Gagen einstreichen.

Hat sich da jemand schon mal überlegt dass es genau das Gleiche ist, sich ein Musikprogramm oder vielmehr eine Show für eine Horde tobender Kids aus aller Welt zu überlegen. Da fängt Entertainment an...! Das ist die wahre Schule...!
Praxisferne Bürokraten bei KSK und Bundessozialgericht( auf dessen Urteil sich die Ksk bezieht) beschliessen einfach, dass man Musik nur im Instrumental-Unterricht oder an einer Musikschule lernt, aber nicht in der Praxis oder im Kindergarten, indem man einfach Live-Musik erlebt und dabei mitmachen kann/darf.

Warum ich das alles schreibe: Hier geht’s halt auch um Finanz-Politik.
Die KSK bekommt politischen Druck. Seit den 80 er Jahren sind immer mehr freischaffende KünstlerInnen, MusikerInnne, Publizisten, SchauspielerInnen Designer, ect in die KSK eingetreten, um in selbständigen und prekären Arbeitsverhältnissen wenigstens eine finanzierbare Renten und Kranken- Versicherung zu haben. Im Gegensatz dazu zahlen viele Unternehmen und Einrichtungen aus diversen Gründen keine Abgaben. Auch der Staat ist auf Sparkurs und so versucht die KSK Leute loszuwerden.

Da muss man dann auch die KSK als soziale Institution verteidigen und die Gesamtpolitik dahinter sehen:
Brotlose Künstler, Kinder und Frauen (mit Schwangerschaftsrisko) sind halt nicht effizient.
Warum soll man da rein investieren? Und wer braucht musikalische Bildung und Rock n Roll?
Konforme Arbeiter und Angestellte werden gebraucht....

Von daher streike ich diese Woche (2.-6.9.2013) und fordere die Kindergärten, BetreuerInnen und Eltern (und wer sich sonst noch solidarisieren will) auf, sich für musikalisch und künstlerische Angebote in Kindereinrichtungen einzusetzen und die KSK und die PolitikerInnen aufzufordern, die im sozialen Bereich frei arbeitenden KünstlerInnen und MusikerInnen weiterhin zu versichern.

Ich freu mich über Feedback von ähnlich Betroffenen, es ist wichtig, sich zu vernetzen, um was zu bewegen.

lg

Constanze Maly

www.conni-maly.info


P.S: Aufgrund meines Widerspruchs im August wurde der Entlassungsbescheid jetzt ganz aktuell zurückgenommen, allerdings ohne inhaltliche Begründung. Von daher weiss ich immer noch nicht, weswegen ich ein halbes Jahr schikaniert wurde und ob ich als Musikerin jetzt in Kindergärten Musik machen darf oder nicht.
Von daher hätte ich gerne von der KSK eine offizielle (!)Stellungnahme und klare Aussage bezüglich musischer und künstlerischer Projket im Kindergartenbereich, damit wir die in diesem Bereich arbeiten wissen, woran wir sind und wie wir unsere Verträge mit den Einrichtungen machen müssen.

Wer mit nachhaken will: auskunft@kuenstlersozialkasse.de